Der Glaube - etwas Passives

Quelle: Distrikt Deutschland

Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen . . .

Unser ganzes geistliches Leben hängt von unserm lebendigen Glauben ab. Nur durch den Glauben wird die Liebe wach. Der Glaube ist die Grundlage. „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen" (Hebr 11, 6). Wir wissen zwar, daß die Liebe das „vinculum perfectionis: das Band der Vollkommenheit" (Kol 3, 14) ist, daß es das ganze Gesetz umschließt.

Aber von der Liebe brauchen wir gar nicht zu sprechen; denn mit dem Glauben kommt die Liebe zwangsläufig, naturnotwendig. Ich kann nicht glauben wollen, kann meine Augen dem Lichte verschließen. Wenn ich aber schon im Glauben stehe, dann ist die Liebe von meinem Willen nicht mehr abhängig. Ich muß einfach lieben (aus dem Glückseligkeitstrieb heraus). „Der Glaube ist ein lebensvolles Hinstreben zu Gott . . . als dem Ziel der Offenbarung" (Scheeben).

Ich liebe, ich werde geliebt . . .

Wenn ich sage: „Ich liebe", dann klingt das sehr aktiv, als ob es von meinem Willen abhinge. Und wenn ich sage: „Ich werde geliebt", so klingt das passiv, als ob ich es erleiden müßte. Tatsächlich ist es aber ganz anders. Wenn ich liebe, dann bin ich nicht nur aktiv, sondern vor allem passiv, leidend. Wenn ich jemanden liebe, dann gehen von der Person, die ich liebe, Anziehungskräfte aus. Sie zieht mich in ihren Bann. Ich werde ihr innerlich oder auch äußerlich dienstbar. Werde ich aber von andern geliebt, dann bin ich gleichsam aktiv, wohl „Empfänger", aber zuerst „Sender", wohl der Beschenkte, aber zuerst der Schenkende, dann gehen Anziehungskräfte von mir aus, die andere Menschen in meinen Bann ziehen.



Die Liebe ist ein Gezogenwerden. Deshalb sagt auch der Heiland ein Wort, das in diesem Zusammenhang auf einmal eine unendliche Tiefe bekommt, ja von ausschlaggebender Bedeutung für unsere ganze „Aszese" wird: „Niemand kann zu mir kommen, wenn der Vater ihn nicht zieht" (Joh 6, 44).Wenn die Herrlichkeiten Gottes im Glauben „sichtbar" werden, dann fangen die Anziehungskräfte, die von Gott ausgehen, an zu wirken und zu ziehen.

„Die Lieb' ist das Gewicht.

Ist's wahr, daß wir Gott lieben,

So werden wir von ihr

Stets hin zu Gott getrieben."

(Angelus Silesius, „Cherubinischer Wandersmann" VI, 118.)

Je näher wir hingezogen werden, desto klarer wird die Erkenntnis, so daß Liebe zur Erkenntnisquelle wird. „Möge er euch . . . innerlich erstarken lassen durch seinen Geist, daß Christus durch den Glauben in euren Herzen wohnt und ihr in der Liebe festgewurzelt und festgegründet seid! Dann vermögt ihr mit allen Heiligen die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe zu erfassen und die Liebe Christi zu erkennen, die alle Erkenntnis übersteigt. So sollt ihr mit der ganzen Gottesfülle erfüllt werden" (Eph 3, 16 ff). Das ist die „Belehrung" von Gott, von der Christus spricht: „Jeder, der auf den Vater hört und sich von ihm belehren läßt, kommt zu mir" (Joh 6, 46). „Man liebt nicht, was man nicht kennt; wenn man es aber auch nur ein wenig erkennt, dann bewirkt die Liebe, daß man es immer besser und vollkommener erkennt" (hl. Augustinus).

 

Wenn der Vater uns nicht zieht . . .

Wir müssen gezogen werden, sonst kommen wir nicht zum Sohn und nicht durch den Sohn zum Vater. All unser Vertrauen auf unser Bemühen und Arbeiten, unser Wissen und Können, auf unsere Tugend und Tüchtigkeit ist ganz verfehlt. Wir müssen zwar das Unsere tun, so gut wir können, aber damit ist noch nichts getan. Wir kommen von der Welt nur so weit weg, als der Vater uns zieht, und keinen Millimeter weiter. Wenn man in einem Wagen sitzt, kann man noch so fest an die Vorderwand drücken, um ihn in Bewegung zu setzen; er wird dadurch um keinen Zoll voranzubringen sein.



Wir können uns Weltverbundene nicht aus uns selbst herausziehen, das ist ganz unmöglich. Wir brauchen da gar keine Versuche anzustellen. Eine Arbeit, die von vornherein keinen Erfolg zeitigen kann, brauche ich gar nicht anzufangen. Wir sollen uns das Leben nicht so ganz zur unerträglichen Last machen. Der Vater, unser himmlischer Vater, nimmt uns die Arbeit ab; er zieht uns.

Von der Stärke des Glaubenslichtes hängt die Stärke des Zuges ab. Sobald das Glaubenslicht erlischt, hört die Anziehungskraft Gottes auf, für uns wirksam zu sein, und wir sinken wieder in unser eigenes Nichts zurück. Manchmal lodert das Glaubenslicht mächtig wie ein Meteor auf, und sofort entflammt es auch unser Wollen und Wünschen; ein kräftiger Vorsatz und starker Liebesakt steigen zum Himmel empor. Sobald aber das „Meteor" verschwindet, sinkt auch unsere Liebe wieder auf ihr gewöhnliches Maß zurück. Mit dem lebendigen Glauben steht und fällt unser Streben, unser Christentum, steigt und sinkt unsere Heiligkeit.

 

Der Glaube als Erlebnis . . .

Der Glaube wird uns bei der heiligen Taufe als ganz kleiner Funke – wie ein Samenkorn – in die Seele gesenkt. Wir fühlen ihn nicht, sehen ihn nicht, haben keine Kenntnis davon. Im Anfangsstadium wird das Glaubenslicht etwas ganz Unfaßbares sein, und doch wirkt sich in ihm das Wachstum des Gnadenlebens aus. Das Wachstum des Keimlings im Samenkorn vollzieht sich im Innern der Schale, im Dunkeln, und auch dann, wenn die Schale gesprengt ist, muß die junge Pflanze noch eine große Arbeit leisten, bis sie, die Scholle durchdringend, das Licht der Sonne erblickt.



Und doch ist es die Sonne gewesen, die den Keimling aus dem Samenkorn durch das dunkle Erdreich ins helle Licht gelockt hat. So ist es bei vielen Menschen. Ihr Gnadenleben bleibt gleichsam im Samenkorn oder im Erdreich stecken, kommt nie ins „helle" Glaubenslicht, und doch ist es das Glaubenslicht gewesen, durch das der Keimling überhaupt zum Wachstum gekommen ist. Sie werden sich ihres Glaubenslebens gar nie bewußt. Sie nehmen es erst in der Ewigkeit wahr, wenn die irdischen Hüllen und Schleier gefallen sind.



Bei einzelnen Menschen wird das Glaubenslicht, wenn es beständig gepflegt und ihm stets neue Nahrung zugeführt wird, in einer Gnadenstunde die Bewußteinsschwelle überschreiten. Das mag wohl ein großes Erlebnis sein, das Auftauchen einer neuen Welt. Es wird zu jenem kritischen Zeitpunkt geschehen, da beide Anziehungskräfte ziemlich gleich stark sind. Da wird die übernatürliche Welt auftauchen und verschwinden, kürzer – länger, länger – kürzer. Wenn der Mensch treu ist, dann wird er sich der übernatürlichen Welt stärker bewußt sein als der natürlichen. Glaubensleben und Christenleben – und später werden wir sehen, daß wir sogar sagen können: Glaubensleben und Christusleben – sind ein und dasselbe bei allen Christen, allen Begnadeten, d. h. im Stande der heiligmachenden Gnade Lebenden. 



Wesenhaft (ontologisch) ist es bei allen dasselbe, erlebnismäßig (psychologisch) aber sind große Unterschiede, Unterschiede wie zwischen Tag und Nacht. Wenn auch alle Menschen zur höchsten Liebe und damit zum bewußten lebendigen Glaubensleben berufen sind – denn nur im lebendigsten Glauben wird die höchste Liebe wach –, so werden doch nicht alle dazu kommen. Sie werden nicht jene Stufe des Gnadenlebens erreichen, das im „hellen" Glaubenslicht liegt. Vielleicht ist für viele von ihnen das Leben zu kurz. Manche werden ihr ganzes Leben hindurch im Dunkeln gehen müssen. Ihr Leben bleibt immer nur ein Verlangen, eine Sehnsucht. Ob sie bei Gott vor den andern zurückstehen? Auch ihnen gilt vielleicht das Wort des göttlichen Meisters, das er zu St. Thomas gesprochen hat: „Selig, die nicht sehen und doch glauben!" (Joh. 20, 29)

 

Licht, das jeden Menschen erleuchtet . . .

„Gott will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen" (1 Tim 2, 4). Wenn es nun nach dem heiligen Paulus ohne Glauben unmöglich ist, Gott zu gefallen (Hebr 11, 6), wenn wir „nur" durch den Glauben gerechtfertigt werden (Röm 3, 28; 5, 1; Gal 2, 16 u. a.), so ist Gott auch verpflichtet, jedem Menschen den Anfang des Glaubens zu schenken. So wie Saulus vor Damaskus wird jeder Mensch einmal vom Glaubenslicht umstrahlt (Apg 9, 4), wenn auch nicht in solch deutlicher und eindrucksvoller Weise, aber einmal kommt der Glaube auch zu ihm. Der Heiland ist „das Licht, das da jeden Menschen erleuchtet" (Joh 1, 9). Jedem wird einmal das Fundament gelegt, auf das er sein Ewigkeitsgebäude aufbauen kann.



Wenn die Menschen nicht wollen, wenn sie die Finsternis mehr lieben als das Licht, dann ist es ihre Schuld, wenn sie selbst in Finsternis bleiben und aus dem Bannkreis der Welt nicht herauskommen. Freilich, mit dieser edlen Glaubensgnade ist nur der Anfang der Bekehrung gemacht, falls der Mensch die Gnade annimmt.



Der heilige Paulus war durch die Damaskusstunde noch kein „heiliger" Paulus, aus dem Saulus war nur ein Paulus, aus dem Christushasser ein Christusjünger geworden. Mit seiner Natur aber mußte er sich noch lange auseinandersetzen. Der Stachel war in seinem Fleische geblieben(2 Kor 12, 7).Und oft hat er aufgeseufzt und gestöhnt unter der Last seiner menschlichen Natur (Röm 7, 24). Die Eigengesetzlichkeit unserer Natur bleibt bestehen, es wird nur ein Gegengewicht geschaffen durch die Gnade.

Aus: P. Richard Gräf (C.S.SP.): Selig die Hungernden, Regensburg 1938, S. 32ff.